NNPLimburg. Auch wenn die Front und damit das Kampfgeschehen weit weg waren, der Erste Weltkrieg hat vom ersten Tag an Auswirkungen auf das Alltagsleben gehabt. Zeugnis davon geben die Schulchroniken, die von den Lehrern geführt wurden. Die Chroniken geben nicht nur Stimmungen und Einschätzungen der Bevölkerung und natürlich vor allem ihrer Verfasser wieder, sie verdeutlichen auch, wie die Schulen selbst in den Krieg einbezogen wurden, in Limburg zum Beispiel dienten sie als Lazarette oder Unterkünfte für Soldaten ...

Diese Aufnahme aus dem Jahr 1915 zeigt die Turnhalle der Marienschule: ein Lazarett.
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Diese Aufnahme aus dem Jahr 1915 zeigt die Turnhalle der Marienschule: ein Lazarett.

Von Franz-Karl Nieder

Die Schüsse am 28. Juni 1914 auf den österreichischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, und seine Frau in Sarajewo, der Hauptstadt Bosniens, von serbischen Nationalisten war für den Eschhöfer Chronisten „der Funke, der diesen Weltbrand entzündete“. Als am 1. August Kaiser Wilhelm II. die Mobilmachung der gesamten deutschen Wehrmacht anordnete, war die nationale Begeisterung grenzenlos. Rektor Karl Michels notiert in der Limburger Schulchronik: „Feste Siegeszuversicht erfüllte das ganze Volk, und freudige Kampffreude begeisterte unsere Jünglinge. Groß war die Zahl der Kriegsfreiwilligen, sogar 16-jährige versuchten, ins Heer zu kommen, teilw. mit Erfolg.“ – „Mit einer Begeisterung, wie sie zur Zeit der Freiheitskriege kaum größer gewesen sein kann, zogen unsere braven Truppen dem Feind entgegen an die Ost- und Westgrenze.“

„Brausende Hurrarufe“

Lange Züge rollten, auch des Nachts, mit Militär lahnabwärts, „von brausenden Hurrarufen begrüßt, voll begeisterter junger Soldaten. Und wer all diese begeisterten Soldaten sah, der mußte mit einstimmen in die brausenden Klänge ,Lieb Vaterland, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein‘, dem wurde es zur Zuversicht, daß wir trotz der großen Zahl unserer Feinde den Sieg erringen werden“, heißt es in der Schulchronik von Eschhofen.

In der Lindenholzhäuser Chronik heißt es: „Mit jedem neuen Feind wuchs auch die Kraft und der unerschütterliche Wille, ihn niederzuringen. Das stand deutlich auf den Stirnen aller derer, die zu ungezählten Tausenden zu den Waffen eilten, wahrhaftig ein ,Volk in Waffen‘“.

Auch Pferde an die Front

Aber mancher hatte schon ein banges Gefühl bei soviel Enthusiasmus; so auch in Ahlbach: „Der Sonntag vergeht in würdevoller Abschiedsstimmung. Hier übergibt ein Landwirt seiner Frau oder dem Nachbarn die Sorge für Hof und Feld, dort werden Verwandte, Freunde, Bekannte besucht, ihnen die Zurückbleibenden zu empfehlen. Jahrelange Gegner söhnen sich zum Abschied aus mit festem Händedruck.“ Auch Pferde wurden eingezogen. „Mit zuckendem Herzen sieht da der Landmann seinen treuen Helfer bei der Arbeit scheiden, er drängt sich an die marschierende Kolonne und klopft ihm ein letztes Mal noch auf den Hals.“

Die Last durch Einquartierungen für die Limburger Einwohnerschaft wurde 1915/16 immer drückender. Ein Landsturmbewachungsbataillon, ein Landsturmersatzbataillon, eine Kompanie des Landsturmausbildungsbataillon wurden nach Limburg verlegt. Eine teilweise Verlegung an andere Orte scheiterte an den Limburger Geschäftsleuten, „die immerhin einen – teilweise sehr erheblichen – Nutzen aus der Garnison zogen“. Die Konsequenz: Am 1. August wurden die Hospitalschule und die Wilhelmitenschule zu Kasernen gemacht. Drei Mädchenklassen wurden im Schloss, zwei Klassen im Saal der Restauration Lahneck, die Hilfsschule im evangelischen Gemeindehaus untergebracht.

Zudem wurde in der Stadt Raum und Platz für Lazarette benötigt, um die Verwundeten zu versorgen. Das Krankenhaus reichte dazu nicht aus. Unter anderem wurde die Turnhalle der Marienschule zu einem Lazarett umgewandelt, aber auch das Bootshaus der Ruderer, das Kloster Marienborn und andere größere Häuser wurden entsprechend genutzt.

83 Kinder pro Klasse

Durch die Nutzung der Schule als Kasernen entstanden Klassen mit bis zu 83 Kindern. Etliche Lehrer wurden eingezogen; dadurch bedingt musste Schulunterricht ausfallen. 1916/17 waren in Limburg „für 21 Klassen nur zwei kleine Aborte mit zusammen 10 Sitzen“ vorhanden. Die Schulräume mussten teilweise morgens und nachmittags von unterschiedlichen Klassen benutzt werden; dadurch war „eine ordnungsgemäße Reinigung der Lehrsäle fast unmöglich“.

Nicht nur Lehrer fehlen, auch die Schüler konnten zu bestimmten Zeiten nicht am Unterricht teilnehmen; sowohl die Landwirtschaft wie auch die gewerblichen Betriebe „erbaten die älteren Söhne der Meister zur Hilfe“. 1918 fehlten Schüler, weil sie „Wochen lang in der Landwirtschaft beschäftigt waren“ oder wegen umfangreichen Sammeltätigkeiten. Hinzu kam, dass die Unterernährung der meisten Kinder dazu führte, dass viele Kinder „im Unterrichte oft vor Mattigkeit einschlafen“ (Limburg).

In Offheim klagte der Lehrer 1916: „Es muß leider gesagt werden, daß die Verhältnisse in diesem Kriege auf die Kinder ungünstig einwirken und allgemein Klage geführt wird über Verrohung der Jugend. Der furchtbare Ernst des Krieges ist bis jetzt von dieser noch nicht erfaßt worden. Möge unserer Bevölkerung und besonders unseren Kindern die Not und das Elend des Krieges erspart bleiben.“ Auch Limburg berichtet von „einer zunehmenden Verwilderung der Jugend“ und einer Zunahme von Ladendiebstählen durch Schüler. Dies wurde darauf zurückgeführt, dass die Kinder weithin „ohne väterliche Zucht und Aufsicht waren“.

„Man hatte allgemein gehofft, daß mit dem Jahr 1914 auch der Krieg zu Ende sein werde. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.“ Mit jedem Jahr wuchs die Lebensmittelknappheit. „Das Jahr 1915 brachte uns die Brotkarte, welche sich sehr gut bewährt. Der Plan Englands, Deutschland auszuhungern, wird dadurch zuschanden werden. Die Lebensmittel werden immer knapper und erleiden eine gewaltige Preissteigerung“ (Mühlen). „Als eine äußerst segensreiche Einrichtung während des Kriegswinters 1914/15 erwies sich die Verabreichung eines warmen Frühstücks an arme Kinder, wofür dem vaterländischen Frauenverein besonderer Dank gebührt“ (Limburg). Aber im Winter 1916/17 musste die übliche Weihnachtsfeier für arme Kinder im Rathaus von Limburg „wegen Warenknappheit“ ausfallen.
Glocken eingeschmolzen

Zur Waffenherstellung wurden Rohstoffe benötigt. 1917 wurde in Ahlbach „wegen Mangel an Erzen das in 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gutgehende Bergwesen in hiesiger und der angrenzender Dehrner Gemarkung wieder wachgerufen. Es wird Eisenstein, Mangan und Phosphorit geschürft. Dadurch wird auch den Leuten ein großer Verdienst zugeführt. Weil es an Bergleuten fehlte, wurde von Ahlbach nach und nach 62 Kriegsteilnehmer aus allen Berufen reklamiert. Wenn auch die Arbeit als Bergmann sehr beschwerlich ist, so ist es für die Reklamierten doch insofern ein Vorteil, weil sie bei ihrer Familie sind.“

In Lindenholzhausen wurden „zur Herstellung von Granaten am 29. Mai (Pfingstdienstag) 13 Prospektpfeifen aus der Orgel entfernt, um in der Kriegsindustrie zu menschenmordenden Geschossen verwandelt zu werden. Ebenso ließen am 10. Juli 1917 die drei Glocken zum letzten Male zusammen ihre ehernen Stimmen erklingen, worauf 2 für immer verstummten. Mit Wehmut werden wir den Ruf vom Kirchturm entbehren, der unsern Vätern u. Urgroßvätern bei Freud u. Leid erklungen ist; ein Pflichtopfer, das wir dem Vaterlande bringen.“

Da auch Kupfer- und Nickelmünzen eingezogen wurden, entstand ein erheblicher Mangel an Kleingeld; Limburg hat diesem Mangel abgeholfen, indem es Geldscheine im Wert von 10, 25 und 50 Pfennigen ausgab.

„Der Krieg rast weiter, fordert immer neue Menschenleben, fordert neue Opfer, legt stündlich neue Lasten auf, ersinnt neue Qualen und Grausamkeiten. 1914 Krieg, 1915 Krieg, 1916 Krieg, 1917 noch Krieg, 1918 immer noch Krieg. Und nun regt sich etwas im Volke, das klingt wie Murren, wird lauter, deutlicher, dringender erfaßt weite und weitere Kreise. Viele wollen Frieden, Frieden um jeden Preis, manche um Preisgabe alles dessen, was ihnen früher hoch und heilig war.“ So steht es in der Chronik von Eschhofen. Der Hurra-Patriotismus ist verschwunden; man will Frieden.

Sogar der Reichstag hat in seiner Sitzung vom 19. Juli 1917 eine Friedensresolution verabschiedet, die auf einen Verständigungsfrieden mit den Kriegsgegner drängte. Auch in Limburg wurde die Frage gestellt: „Warum hat man in Brest-Litowsk und in Bukarest nicht völlig Friede mit unsern östlichen Nachbarn gemacht? Will man wirklich einen Eroberungskrieg gegen die ganze Welt führen? So treten Verzagtheit und Mißmut immer stärker auf.“ Aber ein Verständigungsfriede kam nicht zustande.

Alle Artikel, die bisher in der NNP und ihren Schwesterausgaben zum Thema Erster Weltkrieg erschienen sind, finden Sie im Internet: www.nnp.de/weltkrieg.

Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.

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