Limburg. Verstaubte Strukturen, keine Zeit fürs Ehrenamt, zu wenig Nachwuchs – die Probleme, gegen die viele Vereine zu kämpfen haben, sind ähnlich, und zwar unabhängig von ihrem Vereinszweck. Ein Umdenken ist nötig und möglich ...

Von Anken Bohnhorst-Vollmer

Knapp 1500 eingetragene Vereine gibt es im Amtsgerichtsbezirk Limburg. Doch die Mitgliedszahlen schrumpfen. Für beinahe jedes Einzelinteresse findet sich heute eine Gruppierung.

Tatsächlich habe sich zwar die Zahl der Vereine während der vergangenen Jahre kaum verändert, teilt eine Mitarbeiterin vom Amtsgericht mit, die für das Vereinsregister zuständig ist. Dennoch seien hier große Bewegungen zu verzeichnen, weil alteingesessene, traditionsreiche Vereine verschwinden und dafür kleinere Nischengruppen entstehen wie beispielsweise Hobby- und Stammtischvereine oder Elterninitiativen.

Immer häufiger würden an Schulen Fördervereine gegründet, berichtet die Mitarbeiterin des Amtsgerichts, weil Aufgaben gelöst und finanziell aufwendige Projekte gestemmt werden müssten, für die die Schulträger kein Geld oder Personal mehr haben.

Praktisch nicht singfähig

Projektarbeit, das ist auch für Jens Fluck, den Vorsitzenden vom Männergesangverein „Harmonie“ Staffel, der Trend. Sein Chor mit derzeit 16 Sängern und etwa 60 passiven Mitgliedern sei „praktisch nicht mehr singfähig“, räumt er ein. „Wir brauchen einen Neuanfang, aber das ist eine Ochsentour.“

Eine Zukunft für seinen Verein sieht er nur, wenn auch hier der „moderne Zeitgeist“ weht, wenn also nicht mehr nur streng auf die wöchentliche Probenpräsenz beharrt werde, sondern wenn es gelingt, ein oder zwei Chor-Events im Jahr zu haben und darauf gezielt hin zu arbeiten, ohne sich langfristig festlegen zu müssen. Alles andere wird auf Dauer nicht klappen, ist er überzeugt. Schließlich ist das Vereinsangebot groß. „Vor 30 oder 40 Jahren gab’s auf den Dörfern in der Regel drei Vereine - einen für Sport, einen fürs Singen und einen für die Feuerwehr.“ Jetzt spalten sich neue Vereine von alten ab, sagt Fluck, wie etwa der Karnevalsverein Staffel, der aus dem MGV hervorgegangen ist.

Und einen weiteren Grund führt Jens Fluck für den Niedergang herkömmlicher Gruppierungen an. „Immer weniger Menschen wollen in ihrer Freizeit zusätzliche und ehrenamtliche Verantwortung übernehmen.“ Die Bereitschaft hierfür sei nicht mehr vorhanden, meint er. Oder, wie Karl Bermbach, Ehrenvorsitzender vom RSV Würges, sagt: „Auch die Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, werden geringer.“

Viele jüngere Leute seien heute beruflich so eingebunden, dass sie keine Zeit für weitere Aufgaben hätten. „Der Hammer fällt heute nicht mehr um 17 Uhr“, sagt der Mann, der 34 Jahre lang Vorsitzender des Fußballclubs war, ehe er zu dessen Ehrenvorsitzendem ernannt wurde. „Ein Ehrenamt in dem Maße auszufüllen, wie wir das früher gemacht haben, kann sich heute niemand mehr leisten.“ Zu seiner Zeit sei das noch anders gewesen. Aber das ist Vergangenheit.
Verschobene Prioritäten

Die Gegenwart holte auch den 1920 gegründeten Fußballverein aus dem Bad Camberger Ortsteil Würges ein, als die erste Mannschaft, die jahrzehntelang in einer der höchsten Amateurklassen, der Hessenliga, gespielt hatte, in die Kreisoberliga abstieg. Die Prioritäten im Verein seien damals verschoben worden. Sponsoren fielen aus, und die neue, jüngere Vorstandsgarde der 30- bis 50-Jährigen habe sich bewusst entschieden, „in einer Klasse zu spielen, in der Geld keine große Rolle spielt“.

Seine, Bermbachs, leistungsorientierte Sportphilosophie wurde ersetzt durch einen Ansatz, der langfristig vermutlich gut für den Verein sein wird, gibt der Ehrenvorsitzende zu. Denn ohne den wirtschaftlichen Druck sei „die Arbeit im Ehrenamt übersichtlicher geworden“, sagt er. Die Vereinsführung habe dadurch ein „flacheres Anforderungsprofil“ zu erfüllen. Und auch auf die Jugendarbeit, die jahrelang vernachlässigt wurde, wird wieder größerer Wert gelegt.

Ob diese aktive Jugendarbeit indes Früchte tragen wird, beurteilt Bermbach nicht allzu euphorisch: „Die Voraussetzungen sind wegen unserer Vergangenheit schlechter als bei anderen Vereinen.“ Zwar könne der Verein derzeit 13 Kinder- und Jugendmannschaften aufbieten. Aber je älter die Spieler werden, desto größer werden die Probleme. „Die Anzahl der B- und A-Jugend-Fußballer, die zu den Senioren wechseln, wird geringer“, bestätigt er einen Trend, der mit dem Vereinszweck allerdings nichts zu tun hat. Denn die schwindende Zugehörigkeit zu Sportvereinen bedeutet nicht eine wachsende Unsportlichkeit in der Bevölkerung. Und auch das Dahindümpeln von Kunst- oder Kultur-Gesellschaften weist nicht auf ein steigendes Desinteresse in diesen Bereichen hin. Nur, wer heute aktiv sein will, braucht dafür keinen Verein mehr. Er nimmt spontane, unverbindliche Angebote wahr.

Probleme für Feuerwehren

Für Traditionalisten ist das bitter. Für Vereine aber, die die Sicherheit der Gesellschaft garantieren, ist diese Entwicklung fatal. Zu diesen unverzichtbaren Garanten zählen die freiwilligen Feuerwehren. Auch sie müssen Mitgliederschwund und Nachwuchsprobleme verkraften. Dabei ist die freiwillige Feuerwehr eben „nicht ein Verein wie alle anderen“, betont Thomas Schmidt, stellvertretender Kreisbrandinspektor. „Wir haben Einsatzdienste.“ Und was passiert, wenn die nicht mehr funktionieren?, fragt er. „Diesen Dienst kann man nicht einfach ausfallen lassen.“ Zehn Minuten beträgt in Hessen die gesetzlich vorgeschriebene Hilfsfrist, also die Zeit zwischen Alarmierung der Rettungsleitstelle und Eintreffen am Einsatzort. Tag und Nacht. Aber „wie soll diese Zeit eingehalten erhalten werden, wenn die Feuerwehrleute zum Arbeiten in die Rhein-Main-Region auspendeln“?

Zudem lässt die Attraktivität der freiwilligen Feuerwehr auch bei den jungen Leuten nach, berichtet Kreisbrandinspektor Georg Hauch. Mit Bürgermeistern und dem Landrat habe man auf regionaler Ebene um Nachwuchs geworben. Das Land initiierte Internet-Kampagnen. Aber offenkundig fehle den Jugendlichen hierzulande der „Kick“. Und hier lebende Kinder und Erwachsene mit ausländischen Wurzeln für den Feuerwehrdienst zu begeistern, sei ebenfalls schwierig, was auch an der deutschen Organisationsstruktur liege, analysiert Hauch. Denn während in Deutschland die Arbeit der Feuerwehr flächendeckend durch freiwillige Einheiten organisiert ist, werden diese Aufgaben beispielsweise in Griechenland vom Militär übernommen. Auch die exakt festgelegten Hilfsfristen gebe es in vielen anderen Ländern nicht. Außerdem erfährt die Arbeit der freiwilligen Feuerwehren längst nicht die gesellschaftliche Anerkennung, die sie verdient, sagt Hauchs Stellvertreter Thomas Schmidt.

Lob für Lindenholzhäuser

Deshalb muss man vorausdenken, fordert der Kreisbrandinspektor. Wenn der Brandschutz nicht mehr ehrenamtlich geleistet werden kann, müsse er in eine hauptberufliche Tätigkeit umgewandelt werden. Dann müssen sich die Kommunen finanziell und personell mehr engagieren. Denn dass sich die Situation entspannen wird, glaubt Hauch nicht. Wenn sich heute weniger Leute bei der freiwilligen Feuerwehr engagieren, kann weniger ausgebildet werden und „die Beständigkeit bricht weg“.

Zwar gibt es mittlerweile zahlreiche Kinderfeuerwehren im Kreis. Etwa in Weilburg-Bermbach, wo die Kinderfeuerwehr in diesem Frühjahr ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat, wie deren Leiterin Meike Stein stolz berichtet. Sieben Kinder sind hier im vergangenen Jahr von der Kinder- zur Jugendfeuerwehr übergetreten. Aber ob die kindliche Begeisterung ein Leben lang anhält, weiß auch sie nicht.

Fest steht indes: Einen Verein entsprechend dem Slogan der Sportbund-Kampagne aus den 1970er Jahren „fit zu trimmen“ für die Zukunft, bleibt „echte Kernerarbeit“, formuliert Jens Fluck vom MGV „Harmonie“ Staffel. Mit großem Respekt und Bewunderung schaue er da zu den Sängern nach Lindenholzhausen. „Die haben auch in guten Jahren viel und erfolgreiche Jugendarbeit geleistet - die sind jetzt gut aufgestellt.“

Artikel vom 04.09.2013, 03:30 Uhr (letzte Änderung 05.09.2013, 19:14 Uhr)

Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.

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