Limburg-Lindenholzhausen. Auf 40 Jahre Harmonie-Festival kann die Harmonie Lindenholzhausen in diesen Tagen zurückblicken. Was im Mai 1981 in Lindenholzhausen begann, bezeichnete das ZDF damals in einer Matinee-Sendung als „einmalig und beispielgebend" ...

LINDENHOLZHAUSEN Die Organisation des ersten Harmonie-Festivals stand noch ganz im Zeichen des Kalten Kriegs

Die Gründer des Festivals, die Männer der Harmonie Lindenholzhausen, reisten bereits 1957 und 1959 zum internationalen Chor- und Folklorefestival in Llangollen/Wales, um zum friedlichen Miteinander der Völker auf kultureller Ebene beizutragen.

In den folgenden Jahrzehnten führte die Harmonie diese Bemühungen durch viele weitere Konzertreisen und Einladungen ausländischer Chöre nach Lindenholzhausen fort. Wegen dieser Erfahrungen und positiven Erlebnisse entschloss man sich im Jahr 1979 – anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Harmonie im Jahr 1981 –, ein eigenes internationales Festival auf die Beine zu stellen.

Welcher Aufwand damit tatsächlich verbunden sein würde, konnten die Verantwortlichen damals jedoch allenfalls ahnen. Dazu kann man sich vor Augen führen, dass es damals noch keine PC, kein Internet und keine E-Mails gab und die wenigsten Unternehmen verfügten damals über ein Faxgerät. Briefe und Nachrichten wurden noch überwiegend per Post (oder als Telex mit einer Lochstreifencodierung per Fernschreiber) übermittelt.

Auch die telefonische Kommunikation mit dem Ausland war oft noch schwierig und sehr teuer. Statt Mobiltelefonen gab es Ende der 1970er viele öffentliche Telefonzellen. Auf dem Festivalgelände wurde eigens ein Telefonhäuschen installiert, damit die Festivalteilnehmer auch einmal nach Hause telefonieren konnten, wenn sie passendes Kleingeld dazu hatten.

Auch die innereuropäische Reisefreiheit gab es noch nicht. Mitten in Europa verlief der sogenannte „Eiserne Vorhang“, die fast unüberwindliche Grenze zwischen West- und Osteuropa. Man benötigte Reisepässe und Visa für die Einreise in die westdeutsche Bundesrepublik (BRD). Das verursachte für viele Teilnehmer aus Osteuropa Probleme, und in einigen Fällen war bis drei Tage vor Reisebeginn nicht klar, ob die Visa erteilt und die Chöre kommen würden. Doch die Harmonie verfügte schon damals über viele talentierte und innovative Mitglieder, die sich alle ehrenamtlich und mit vielen pragmatischen Lösungen für das Festival einsetzten. Es gelang ihnen, Vereine aus der ganzen Region für das Projekt zu begeistern, so dass sich diese mit ihren Mitgliedern als private Gastgeber für ausländische Teilnehmer und als fleißige Helfer einbrachten.

Die heimischen Politiker setzten sich ebenfalls für das Festival ein. Der erste Schirmherr des Harmonie Festivals war der Hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD).

Dem „Eisernen Vorhang“ zum Trotz nahmen letztlich doch 16 Chöre aus den Warschauer-Pakt-Staaten teil: Plötzlich waren da also Sängerinnen und Sänger aus „verfeindeten“ Ländern und sangen miteinander. Dieses Erlebnis der friedlichen Begegnung zwischen den Menschen unterschiedlicher Nationen und Kulturen begeisterte damals wie heute die Mitglieder der Harmonie und viele Menschen in der ganzen Region immer wieder.

Idee entstand in einer Hafenkneipe

Heute blicken die Veranstalter des Festivals mit Dankbarkeit und Stolz auf dieses erste Harmonie-Festival 1981 zurück. Sie können es kaum glauben, unter welchen Umständen diese Mammutaufgabe damals bewältigt wurde.

An die Entstehung des Festivals erinnert sich Winfried Breser, damals Zweiter Geschäftsführer der Harmonie: „Wir waren 1976 mit einer Abordnung des Vorstandes bei einer Vorfahrt zur Teilnahme am internationalen Festival in Middlesbrough/England. Von dort aus haben wir auch das Festival in Llangollen/Wales besucht. Auf der Rückfahrt haben wir die letzte Fähre in Dover verpasst und mussten auf das erste Schiff am nächsten Morgen warten. In einem Pub am Hafen kam uns erstmals der Gedanke, ein eigenes Festival in Lindenholzhausen durchzuführen. Unser Vorsitzender Josef Hilfrich meinte damals: ,Wenn wir ein internationales Festival mit zehn Nationen auf die Beine stellen könnten, so wäre das schon ein riesiger Erfolg.‘ Es wurden dann tatsächlich 106 Chöre aus 19 Nationen.“

Auf der ersten Festivalbühne (von links) stehen der damalige Dirigent Hans Lingerhand, der damalige Erste Vorsitzende Josef Hilfrich und Vorstandsmitglied Richard Neunzerling. - FOTOS: KLAUS-DIETER HÄRINGBild: Auf der ersten Festivalbühne (von links) stehen der damalige Dirigent Hans Lingerhand, der damalige Erste Vorsitzende Josef Hilfrich und Vorstandsmitglied Richard Neunzerling. - FOTOS: KLAUS-DIETER HÄRING

Manfred Neunzerling, damals 27 Jahre alt und heutiger Vorsitzender der Harmonie, erinnert sich: „Das Festival 1981 war die erste Veranstaltung, die auf dem Festivalgelände mit Bürgerhaus, Kirche, Schule, Schulsportplatz und Festplatz stattfand. Davor fanden alle Vereinsfeste am alten Sportplatz statt. „Nachdem ich als junger Bursche diesen Vorschlag eingebracht hatte, wurde die Idee erst einmal abgelehnt.“ Doch Winfried Breser, damals Leiter des technischen Ausschusses, griff den Vorschlag nochmals auf und erklärte die vielen organisatorischen und logistischen Vorteile des Vorschlags, der dann eine Mehrheit fand. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden Josef Hilfrich war Manfred Neunzerling in den beiden Jahren zuvor auf fast allen Sängerfesten und Chorwettbewerben im Umkreis von 100 Kilometern, um Werbung für das Festival zu machen. Es wurden dabei 10000 Flugblätter oder mehr verteilt.

Im Jahr 1981, noch während des Kalten Krieges, durfte der Frauenchor Dzintars Riga aus der Sowjetrepublik Lettland nur in Begleitung von zwei Mitarbeitern der staatlichen Reiseagentur der Sowjetunion anreisen. Diese waren Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes (was viel später bestätigt wurde) und mussten täglich telefonischen Bericht nach Moskau erstatten. Die Telefonkosten dafür dürften damals deutlich über 500 D-Mark gelegen haben. Der heutige Zweite Geschäftsführer, Manfred Jung, war damals 24 Jahre alt: „Ich war als englischsprechender Korrespondent und Chorbetreuer im Einsatz. Auch als Bereitschaftsfahrer für das Infozentrum. Lustig waren die Nachtwachen bei Bier und Doppelkopf. Security war zu dieser Zeit noch ein Fremdwort.“

Hans Bendel, langjähriges Vorstandmitglied und damals 33 Jahre alt, berichtet: „Wir haben zwei Jahre vor dem Festival über Tage hinweg tausende Einladungsbriefe gefalzt, eingetütet, mit Adressetiketten versehen und zur Post gebracht. Ein halbes Jahr vor dem Festival 1981 habe ich unserem Designer Klaus Jung geholfen Hinweisschilder in der alten (säkularisierten) Kirche zu malen. Wir haben fast 300 Liter Farbe gemischt und riesige Buchstaben aus Sperrholz ausgesägt und für die Bühnendekoration vorbereitet. Meine Mutter Gretel hat damals zusammen mit Marta Zwack, Irma Simonis, Anita Jung, Roswita Otto und vielen anderen Frauen eine Woche lang Hackbraten geformt, gebraten und dann eingefroren.“

Das Publikum sorgte für gute Stimmung und viel Applaus beim Harmonie-Festival. Der Chor freut sich über weitere Fotos und Video-Aufnahmen von Gästen für sein Archiv. - FOTOS: KLAUS-DIETER HÄRINGBild: Das Publikum sorgte für gute Stimmung und viel Applaus beim Harmonie-Festival. Der Chor freut sich über weitere Fotos und Video-Aufnahmen von Gästen für sein Archiv. - FOTOS: KLAUS-DIETER HÄRING

Jeden Tag im „Harmonie-Dienst“

Markus Hilfrich, Sohn des damaligen Ersten Vorsitzenden und seinerzeit 17 Jahre alt, erzählt: „Das Jahr 1981 stand für uns als Mitglieder des Harmonie-Jugendclubs ganz im Zeichen des Festivals. Wir halfen wo immer möglich. Zum Beispiel beim Malen von Hinweisschildern unter der Anleitung von unserem ,Künstler‘ Klaus Jung. Später beim Zeltaufbau und beim Malen des Bühnenbildes. Das war damals Harmonie- Dienst 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Es fand sich aber auch Zeit, das Festival aktiv als Sänger mitzugestalten und so unvergleichliche Chöre wie Dzintars Riga und den Wheaton Male Chorus zu genießen. Es war stressig, aber auch unglaublich bewegend und emotional.“

Viele Menschen aus der ganzen Region werden sich wahrscheinlich noch an das erste Harmonie- Festival 1981 erinnern. Wer möchte, kann private Fotos oder kurze Videofilme vom ersten Festival in digitaler Form an die Harmonie Lindenholzhausen zur Archivierung senden, damit diese Erinnerungen für die Nachwelt erhalten bleiben. Einsendungen bitte per E-Mail an information@harmoniefestival. de. Für größere Datenmengen kann per E-Mail ein Upload-Link angefordert werden.

Zum Chor Dzintars aus Riga entwickelte sich eine intensive Freundschaft mit gegenseitigen Besuchen. Die Sängerinnen durften nur in Begleitung zweier sowjetischer Geheimdienstler anreisen. Bild: Zum Chor Dzintars aus Riga entwickelte sich eine intensive Freundschaft mit gegenseitigen Besuchen. Die Sängerinnen durften nur in Begleitung zweier sowjetischer Geheimdienstler anreisen. - FOTOS: KLAUS-DIETER HÄRING

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.