Limburg-Lindenholzhausen. "Crossdresser" sind Frauen in Männerkleidung und Männer in Frauenkleidung. In der Altstadt lebt ein 45-jähriger Mann, der seit vier Jahren jeden Tag Röcke und hochhackige Schuhe trägt. Eine aus Lindenholzhausen stammende Studentin hat über ihn einen Dokumentarfilm gedreht ...

„Crossdresser“ Matthias Röhricht mit Film-Studentin Stella Fachinger. Sie hat einen Dokumentarfilm über den 45-jährigen Limburger gedreht, der seit vier Jahren Frauenkleider trägt - Foto: Stefan DickmannBild: „Crossdresser“ Matthias Röhricht mit Film-Studentin Stella Fachinger. Sie hat einen Dokumentarfilm über den 45-jährigen Limburger gedreht, der seit vier Jahren Frauenkleider trägt - Foto: Stefan Dickmann

Dokumentarfilm

Von STEFAN DICKMANN

Wann ist ein Mann ein Mann? Dieser Frage ging Herbert Grönemeyer 1984 in seinem berühmten Lied nach. Das vermeintlich starke Geschlecht weint heimlich, sehnt sich nach Geborgenheit, ist verletzlich – und stirbt an einem Herzinfarkt.

Kann ein Mann ein Mann sein, wenn er Frauenkleider trägt? Matthias Röhricht beantwortet diese Frage mit ja. Der 45-Jährige wohnt in der Altstadt und fällt auf, wenn er durch die Gassen geht. Er ist 1,80 Meter groß, schlank, trägt Schuhe mit sehr hohen Absätzen, einen Minirock und hat die Nägel rot lackiert. Ein Kerl in Stöckelschuhen mit einer tiefen Stimme.

Er ist kein Transvestit; kein Mann, der die fast perfekte weibliche Illusion sucht. Er ist auch kein Transsexueller, der lieber eine Frau wäre. Röhricht ist trotz seiner Frauenkleider als Mann erkennbar, was ihm sehr wichtig ist. Weil er sich als Mann wahrnimmt – als heterosexueller Mann, der sich wohler fühlt, wenn er Frauenkleider trägt. „Ich fühle mich so gut wie nie“, sagt er. „Ich genieße auch die Aufmerksamkeit als angenehmen Nebeneffekt.“

„Es gibt keine Klischees“

Diese Aufmerksamkeit hat ihn zum Hauptdarsteller einer Dokumentation gemacht. „Ich bin Mann, ich bleibe Mann“, heißt der Film, den Stella Fachinger über ihn gedreht hat. Die 21-Jährige stammt aus Lindenholzhausen und studiert seit 2016 im 4. Semester Regie an einer Filmhochschule in Köln. Sie hofft, ihren Dokumentarfilm auf Filmfestivals zeigen zu können. Was hat sie durch ihr filmisches Porträt über den „Crossdresser“ Matthias Röhricht gelernt? „Es gibt keine Klischees“, sagt sie. „Und die Gesellschaft ist offener als ich dachte.“

Röhricht arbeitet in einer Firma, die elektronische Leiterplatten herstellt. Am Arbeitsplatz trägt er Hosen. „Ich muss Sicherheitsschuhe tragen. Dazu sieht ein Minirock nicht gut aus.“ Sein Chef und seine Kollegen hätten mit seinem Erscheinungsbild kein Problem. Und die Familie? „Meine Eltern sind sehr entspannt und liberal.“

Auch seine Ex-Frau, von der er schon lange vor seiner Verwandlung getrennt lebe, akzeptiere sein Äußeres. Seine drei Töchter – 13, 17 und 20 Jahre alt –, hätten damit „mittlerweile“ kein Problem mehr. „Vor vier Jahren habe ich mir das erste Mal etwas Weibliches angezogen. Ich wollte nicht, dass das als Fetisch endet. Und es sollte nicht lächerlich aussehen.“

„Aus heiterem Himmel“

Aber warum? „Das kam aus heiterem Himmel, einfach so“, lautet seine lapidare Antwort. „Ich war durchaus zufrieden mit meinem Leben. Es gibt aber immer eine Steigerung.“ Er habe schon immer eine feminine Seite an sich gehabt. Als Kind habe er mit seiner Mutter gern Kuchen gebacken. Als Erwachsener habe er bemerkt, dass sich ihm viele Frauen anvertrauen.

Was ist typisch männlich an ihm? „Ich muss mich rasieren“, sagt er. „Das bleibt ein Ritual.“ Er interessiere sich auch privat für Elektronik. „Ich habe mir einen Kopfhörerverstärker und einen Röhrenverstärker selbst gebaut.“

An das erste Mal mit Frauenkleidern in der Öffentlichkeit kann er sich noch gut erinnern. „Ich trug Stiefeletten mit hohen Absätzen und eine zerrissene Jeans, durch die man die Strümpfe sehen konnte. Das war mutig.“ Er habe nicht einschätzen können, wie die Reaktionen ausfallen. Doch die Reaktionen seien überwiegend positiv gewesen.

Trotzdem spürt er auch heute noch eine gewisse Unsicherheit. Vor kurzem sei er zu einem Klassentreffen gegangen. „Beim letzten Klassentreffen vor neun Jahren trug ich einen Pulli und einen Vollbart.“ Die Reaktionen seiner Mitschüler hätten ihn in ihrer Deutlichkeit überrascht. „Ich komme dahin. Die sehen mich und sagen alle: Super!“

Das ist aber nicht immer so. „Die Gruppe, die ihre Ablehnung am deutlichsten zum Ausdruck bringt, sind 20- bis 25-jährige Männer mit Migrationshintergrund“, sagt Röhricht. „Da kann es schon mal passieren, dass sie an mir vorbeigehen und auf den Boden spucken.“

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.

 

 

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